Experteninterview zur DIN 18008
Vor Kurzem gab Sebastian Rücker der Zeitschrift „glasspezial“, die von der Radeberger Thiele AG herausgegeben wird, ein Interview. Befragt wurde der Geschäftsführer der glasfaktor Ingenieure GmbH aus Dresden zu seinen Erfahrungen mit der neuen Glasbemessungsnorm DIN 18008.
Ein Sachverständiger klärt über Vor- und Nachteile auf
Diplomingenieur Sebastian Rücker und seine Kollegen der glasfaktor Ingenieure GmbH sind spezialisiert auf die statisch-konstruktive Planung und die ingenieurtechnische Betreuung bei der Umsetzung von Fassaden- und Glasbauprojekten. Demnach setzt er sich von Berufs wegen tagtäglich mit der neuen Glasbemessungsnorm DIN 18008 auseinander und wird mit zahlreichen Anwenderfragen seiner Kunden konfrontiert.
IM INTERVIEW: Dipl. Ing. Sebastian Rücker über häufige Fragen zur DIN 18008
Als Partner von Thiele Glas stehen Sie sowohl unseren Mitarbeitern als auch Kunden gern beratend zur Seite. Im Frühjahr dieses Jahres vermittelten Sie im Rahmen des Architekten- und Planertags bzw. einer Mitarbeiterschulung bereits zweimal Ihr Wissen zur DIN 18008. Sie standen den Schulungsteilnehmern Rede und Antwort. Vielen Dank! Umso mehr freuen wir uns, dass Sie für die glaspezial-Redaktion die häufigsten Fragen noch einmal zusammenfassen.
Die bisher gültigen Technischen Regeln TRLV, TRPV und TRAV beinhalteten eine ausführliche Regelung zur Verwendung von Verglasungen. Warum wurde überhaupt eine neue Glasbemessungsnorm eingeführt?
Wesentlicher Grund für die Einführung einer neuen Norm ist die Anpassung des Bemessungskonzeptes für Glaskonstruktionen an das im Eurocode verankerte und für andere Baustoffe bereits geltende semiprobabilistische Nachweiskonzept. Die alten Regeln basieren nicht auf diesem Sicherheitskonzept. Der Nachweis von Verglasungen mit Teilsicherheitsbeiwerten auf Einwirkungs- und Widerstandsseite wird dem spröden Werkstoff Glas nun wesentlich gerechter.
Was ist für unsere Berater und Kunden die wichtigste Schlussfolgerung aus der DIN 18008?
Für das Projektgeschäft ist es ab sofort umso wichtiger, dass ein Fachmann für die Dimensionierung der Verglasungen zum frühest möglichen Zeitpunkt involviert wird. Die Glasbemessung ist durch die neue DIN 18008 derartig komplex geworden, dass eine verlässliche Glasdimensionierung ohne ingenieurtechnisches Fachwissen und ohne genaue Informationen zur Einbausituation der Scheiben nicht zu bewerkstelligen ist. Eine Softwarelösung zur Glasdimensionierung alleine ist kein Garant für die richtige Glasdicke.
Was ist zu tun, wenn man Regelungen nicht anwenden kann?
Für Verglasungen, die wesentlich von der DIN-Norm abweichen, ist eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bei der Obersten Baubehörde des Bundeslandes zu beantragen. Im Bereich der Glasbohrungen bedürfen z.B. Senkloch- und Sacklochbohrungen einer ZiE.
Kann man noch alte Glasertabellen zur Glasbemessung nutzen?
Der Einsatz von alten Glasbemessungstabellen ist nicht mehr zielführend. Davon ist in jedem Fall abzuraten.
Wie verhält es sich mit der Nachweispflicht in Theorie und Praxis?
Vielen ausführenden Firmen ist immer noch nicht bewusst, dass für den Einbau von Verglasungen am Bau eine Nachweispflicht besteht. Der Einsatz von Verglasungen ist projektbezogen durch statische Nachweise und ggf. zusätzliche Nachweise (z.B. Nachweis der Stoßsicherheit bei absturzsichernden Verglasungen) zu führen und dem zuständigen Prüfingenieur bzw. Bauamt vorzulegen. Wer dies nicht für notwendig erachtet läuft Gefahr, nicht ausreichend dimensionierte Verglasungen einzubauen. Die nachträglichen Konsequenzen können auch nach Jahren noch richtig teuer werden.
Eine interessante Frage der Schulungsteilnehmer war: Was sind die generellen Vor- und Nachteile der DIN 18008?
Der Reglungsbereich der neuen Norm wurde deutlich erweitert. Daraus resultiert der Vorteil der erhöhten Planungssicherheit für eine Reihe von bisher zustimmungspflichtigen Anwendungen, deren Dimensionierung und Konstruktion bisher vom Projekt/ Land/ Bearbeiter abhängig waren. Demnach reduziert sich auch der Genehmigungsaufwand. Die neue Norm beinhaltet außerdem ein Bemessungskonzept, welches deutlich genauer und individueller auf das werkstoffspezifische Materialverhalten von Glas eingeht. Leider wurde die Norm jedoch in einigen Bereichen völlig „an der Praxis vorbei“ geschrieben. Hinsichtlich des Umfanges der durchzuführenden statischen Berechnungen und Nachweise haben die Normenmacher ein „bürokratisches Monster“ geschaffen, welches ohne zusätzliche Regelungen bzw. Nachweiserleichterungen in der Praxis nicht anwendbar ist. Die Abschaffung der sog. 4-Meter-Regel ist aus meiner Sicht der größte Nachteil der neuen Norm. Diese stellte eine Nachweiserleichterung für Schaufenster- und Türverglasungen dar. Die Verantwortung für die Ausführung einer standsicheren, gebrauchstauglichen Senkrechtverglasung mit einer Einbauhöhe von weniger als 4 m über Verkehrsflächen konnte die Fachfirma übernehmen. Eine Nachweispflicht gegenüber der Bauaufsicht war aufgrund des geringen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Verkehrsraumes nicht notwendig. Mit den neuen Regelungen ist für jede Türverglasung inklusive Ganzglastür und Duschtür eine Statik nach DIN 18008 beim Prüfstatiker vorzulegen. Bei kleinen und schmalen Isolierglasscheiben erweist sich die Abschaffung der 4-Meter-Regel als besonders problematisch. Ein Nachweis ist hier aufgrund der Klimalasten oftmals nicht möglich! Hier hoffe ich auf nachträgliche Änderung. Damit die Vorteile letztendlich gegenüber den Nachteilen überwiegen.